Libri prohibiti

Libri prohibiti: Bibliothek der verbotenen Literatur

Praha, prosinec 2004

Libri prohibiti: Bibliothek der verbotenen Literatur

Ganz unauffällig, in einem Wohnhaus auf dem Platz Senovážné náměstí im Prager Stadtzentrum, befindet sich ein Literaturschatz. In einer ehemaligen Wohnung im ersten Stockwerk ist die Bibliothek “Libri prohibiti” untergebracht, die nach der Wende von 1989 Jiří Gruntorád gegründet hat. Früher wäre eine solche Gründung kaum möglich gewesen, denn: Gruntorád versammelt in seiner Bibliothek verbotene Bücher, Publikationen und Periodika, die zur Zeit des kommunistischen Regimes im Untergrund und im Exil herausgegeben wurden. Mehr hören Sie im nachfolgenden Kultursalon, den Markéta Kachlíková für Sie gestaltet hat.

Die Bibliothek “Libri prohibiti” ist eine der interessantesten Kultureinrichtungen, die nach 1989 entstanden sind. Die Bibliothek, ein Dokumentationszentrum für Untergrund- und
Samisdatliteratur birgt heute an die 22.000 Bücher, weiter Zeitschriften und Zeitungen, aber auch ein audiovisuelles Archiv mit Ton- und Videoaufnahmen, eine Fotosammlung, eine Sammlung von Flugblättern, Plakaten usw. Der Begründer und Leiter der Bibliothek Jiří Gruntorád erklärt, was in der Wohnung auf dem Senovázné námestí zu finden ist:

“Es gibt hier im Prinzip drei Arten von Büchern: Einige sind Publikationen, die in der Tschechoslowakei und in anderen Ländern des sowjetischen Blocks im Untergrund erschienen sind, d. h. im sog. Samisdat. Weiter gibt es Exilbücher, die auf Tschechisch und Slowakisch außerhalb der Tschechoslowakei, in Westeuropa, in den USA, in Kanada oder sogar in Australien erschienen sind. Und dann haben wir noch Sekundärliteratur hier, die diese Themen betrifft. Diese verfolgen wir bis zur heutigen Zeit. Wir haben z. B. Publikationen über die Tätigkeit der sowjetischen Geheimpolizei, über die Okkupation der Tschechoslowakei 1968, über kommunistische Konzentrationslager und über ähnliche Themen.”

Diese Gestalt hat die Bibliothek also heute. Jiří Gruntorád erinnert sich allerdings auch an die Anfänge, an die Zeit, als er begann, verbotene Bücher zu sammeln und herauszugeben:

“Die Anfänge können wir etwa mit dem Jahr 1978 datieren. Damals existierte bereits seit einem Jahr die Charta 77, deren Dokumente ich allerdings nur aus dem westlichen Radio kannte. Ich habe die Charta zum ersten Mal im Sender ‘Stimme Amerikas’ gehört. Später bekam ich auch schriftliche Dokumente in die Hand, die eben im Samisdat verbreitet wurden. Sie existierten in sehr wenigen Exemplaren, und es war sehr schwierig, ein solches Buch zu bekommen. Und so bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man den Büchern sozusagen Geburtshilfe leisten muss. Ich begann, sie selbst abzuschreiben. Später habe ich das Abschreiben organisiert, so dass einige Schreiberinnen daran arbeiteten. Es entstand ein Untergrundverlag, in dem die Bücher in der Auflage von 12 oder 13 Stücken herausgegeben wurden – eben so, wie es eine Schreibmaschine erlaubte.”

Jiří Gruntorád gründete seine eigene Edition “Popelnice” (“Die Mülltonne”). Und er
hat selbst entschieden, was darin erscheinen soll:

“Ich hatte einige Freunde um mich. Es war ein Kompromiss zwischen dem, was mir gefiel, und dem, was meine Freunde gerne lesen würden. Zunächst waren es Bücher, die bereits in einer Samisdat-Edition erschienen waren. Und später, nachdem ich Kontakte mit Autoren aufgenommen hatte, bekam ich Handschriften von ihnen und gab auch diese Originaltexte
heraus.”

Der Betrieb der Edition war sehr kompliziert: Denn eine größere Menge von solchen, mit der Maschine geschriebenen Texten zu besitzen, bedeutete damals automatisch die ständige Gefahr einer Verhaftung. Schließlich blieb dem geheimen Buchverleger das Gefängnis tatsächlich nicht erspart: Vier Jahre hat er hinter Gittern verbracht.

Ein Umbruch kam nach der Wende von 1989, als man diese Art Literatur nicht mehr verbergen musste. Die Bibliothek wurde auf kuriose Weise gegründet:

“Im Jahre 1990 habe ich eine große Menge von Samisdat-Büchern zurückbekommen, die mir vorher die Staatssicherheit beschlagnahmt hatte. In meinem Wohnzimmer befand sich ein Haufen von Bananenkisten mit hunderten Samisdat- und Exilbüchern und Zeitschriften. Ich musste das Problem lösen, wohin damit. Ich habe zuerst nach Institutionen gesucht,
die garantieren würden, dass die Bücher zu Lesern gelangen. Dabei habe ich aber festgestellt, dass diese Institutionen nach wie vor von Bolschewiken besetzt waren und diese mir keine Garantien anboten, dass die Bücher nicht im Keller enden. Daraus ergab sich für mich eine einzige mögliche Lösung. Nämlich die, eine eigene Bibliothek zu eröffnen.”

Damals, im Jahre 1990 betrug die Sammlung etwa 1000 Titel. Inzwischen ist sie stark angewachsen.

“Heute hat die Bibliothek etwa 22.000 Bücher. Jährlich kommen etwa 1000 neue Bücher hinzu. Zum Teil durch Einkäufe in Antiquariaten, zum Teil durch die Sekundärliteratur, die heute erscheint. Vor allem handelt es sich aber um Geschenke von Leuten, die feststellen, dass sie Samisdat-Bücher zu Hause haben, die sie längst vergessen haben, und diese
dann bringen.”

Da die Auflagen in den Untergrundverlagen nur zwischen 10 und 15 Stück lagen, ist es für Jiří Gruntorád heute natürlich sehr schwer, eine komplette Edition zusammenzustellen. Eine Liste der fehlenden Bände ist im Internet veröffentlicht, mit der Hoffnung, es meldet sich jemand, der etwas davon besitzt. Ab und zu gelingt das auch. In die Bibliothek kommen Leute
verschiedenster Professionen. Etwa die Hälfte bilden Studenten, wobei es interessant ist, dass es sich vor allem um ausländische, nicht so sehr um tschechische Studenten handelt. Weiter kommen Wissenschaftler, Lehrer und Redakteure aus Verlagen und Medien. Ihr Interesse hat sich im Laufe der Zeit wesentlich geändert.

“Damals, in den 90er Jahren interessierte man sich für Bücher, meistens Belletristik, die in Exilverlagen im Westen oder im Samisdat herausgegeben wurden und offiziell nicht erschienen waren. Das hat sich während der 90er Jahre geändert, weil der Großteil der Bücher dann bereits verfügbar war. Heute konzentrieren sich die Leser auf Zeitschriften- und
Zeitungsartikel, auf Beiträge in Sammelbänden und auf jene Bücher, die bisher nicht herausgegeben wurden.”

Jiří Gruntorád hat im Jahre 2002 eine Staatsauszeichnung für seine Verdienste um die “verbotene Literatur” entgegengenommen. Außerdem wurde ihm der Literaturpreis “Magnesia Litera” verliehen. Trotz dieser Anerkennung muss er jedoch auch heute, 15 Jahre nach der Wende, alltäglich und alljährlich einen harten Kampf um die weitere Existenz seiner Bibliothek führen.

“Es ist ungeheuer schwer. Wenn ich damals im Jahre 1990 gewusst hätte, wie die Entwicklung aussehen wird, hätte ich wohl nie eine solche Bibliothek eröffnet. Ich habe mir einen Stein um den Hals gebunden, und den schleppe ich nun mit mir herum. Es gibt eigentlich keinen Fortschritt. Ich muss jedes Jahr über eine Million Kronen für den Grundbetrieb der Bibliothek zusammenbringen, wobei der Staat nur mit einem Viertel dazu
beiträgt. Den Rest muss ich mir von verschiedenen Spendern und Sponsoren nach Hundert- und Tausendkronensummen erbetteln.”

Source: Czech Radio 7, Radio Prague
URL: http://www.radio.cz/de/artikel/60476
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Markéta Kachlíková, Prag